Sprachcafé Basel: Im Gespräch mit Anita Ruggiero

Hallo, allegra, salut, ciao, hola, hello, mirë dita, salam, shalom, namaste, selamat, konnichi wa, merhaba, dobar den, barev, rojbas!
«Basel isch doch eifach e scheeni Stadt.» Und vor allem ist die Stadt am Rheinknie eine multikulturelle Stadt, in der Menschen aus 196 Nationen leben und arbeiten.
Dieser Möglichkeit nach liegt Basel die ganze Welt zu Füssen, zumindest kulturell. Nur: Kennen wir unsere Basler Nachbarn und die aus den 195 anderen Nationen der Welt? Wissen wir, wie sie leben, essen, trinken, einkaufen, sind?
Dieses Interview handelt von einer visionären Gruppe, die eine unkonventionelle Antwort auf die Migrationspolitik in Europa und die politischen Entwicklungen in der Schweiz hat. Das «Sprachcafé» ist ein niederschwelliges Freiwilligenprojekt, welches darauf basiert, dass es am einfachsten ist und am besten gelingt, eine neue Sprache zu erlernen, wenn man Freundschaften pflegt, die diese sprechen.


Liebe Anita, erzähl uns doch kurz von dir und über euer «Sprachcafé» Projekt.
Neben meinem Studium in Deutscher Philologie und Geschichte arbeite ich schon seit zwei Jahren als Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache (DAZ). Das Unterrichten in einem Deutschkurs macht mir grossen Spass, hat mir aber auch gezeigt, dass es unbedingt Orte ausserhalb einer Schule braucht, an denen eine Sprache geübt werden kann. Ich kannte das Konzept der Sprachcafés aus eigenen Sprachaufenthalten in Frankreich und England und suchte für meine KursteilnehmerInnen etwas Ähnliches in Basel. Da gab es aber einfach nichts! Also habe ich mit ein paar Freunden das Sprachcafé gegründet. Hier treffen Deutschlernende mit ganz verschiedenen Hintergründen auf Interessierte BaslerInnen und andere Deutschsprechende, um sich in lockerer Atmosphäre zu unterhalten.



Was unterscheidet das Sprachcafé von anderen Sprachkursen?
In erster Linie, dass wir kein Sprachkurs sind. Wir erschaffen zusammen mit dem Café Frühling (wo die Sprachcafés alle 14 Tage von 18 Uhr bis 20 Uhr stattfinden) einen offenen Raum, in dem Deutsch auf spielerische, freundschaftliche Weise geübt werden kann. Es geht mehr um Begegnung und kulturellen Austausch, als darum, die Grammatik richtig zu lernen. Sprache ist essentiell, um sich in einem Land zu verständigen, um Anschluss zu finden und nicht zuletzt auch, um eine Kultur zu verstehen. Damit die Hemmungen fallen, muss einfach gesprochen werden! Dafür sind wir ein sehr niederschwelliges Angebot, es ist eine lockere Stimmung, niemand verpflichtet sich zum Kommen, es kostet nichts und für alle BesucherInnen gibt‘s ein Gratisgetränk. Ebenso bieten wir im Sprachcafé nichts an, wir sind «nur» Gesprächspartner.


Mit welchen Herausforderungen ist das Sprachcafé konfrontiert?
Wir sind im Verein zur Zeit ein Team von 15 motivierten Deutschsprechenden, die alle freiwillig alle 14 Tage, einen Abend im Sprachcafé, die Gespräche anleiten/mitgestalten und schauen, dass neue BesucherInnen an den Tischen integriert werden. Zusätzlich treffen wir vom Team uns einmal im Monat zur Sitzung, um Erfahrungen auszutauschen, zu planen, Events zu organisieren, ...Obwohl es uns alle bereichert, sind wir doch manchmal zu wenige im Team. Ebenfalls müssen wir immer wieder schauen, wo wir Geld herbekommen, um die Kaffeegutscheine zu bezahlen, Werbematerial zu finanzieren und andere Anlässe wie das Sprachcaféfest zu ermöglichen.
Interessanterweise gibt es gegen alle Erwartung praktisch keine interkulturellen oder sprachlichen Probleme im Sprachcafé! Das kommt vielleicht auch daher, dass wir im Sprachcafé allen auf Augenhöhe begegnen, es wird niemand als «Asylsuchende», «Migrant», «Flüchtling» oder auch «Expat» oder «Studentin» angesehen. Wir versuchen Grenzen durch gegenseitiges Interesse abzubauen, ohne neue zu erschaffen.



Du lernst den Sprachcafé-Teilnehmenden Deutsch, was lernst du von ihnen?
Einige Wörter Farsi und Kurdisch! :) Nein ich glaube, dass wir alle einander gegenseitig bereichern können, wenn wir offen bleiben für andere oder ungewohnte Ansichten, Lebensweisen und Sprachen.
Konkret habe ich einiges über das Schweizer Asylwesen und Migrationspolitik gelernt (auch weil wir immer wieder von BesucherInnen dazu etwas gefragt wurden, mussten wir uns zwingend selbst über Rechte und Pflichten etc. informieren). Dazu kommen Kochrezepte zu Gerichten aus aller Welt und auch eine gewisse Aussensicht auf die Schweiz und das auch meinen Blick bereichert und verändert.


Was ist einer deiner schönsten Momente?
Es war etwas sehr besonderes, als eine geflüchtete Familie aus Afghanistan, deren zwei Söhne seit Beginn regelmässig ins Sprachcafé kommen, das ganze Sprachcafé-Team zu sich nach Hause zum Essen eingeladen hat.
Ebenso ist es immer wieder schön zu merken, wie das Sprachcafé verbindet, vernetzt und sich Freundschaften bilden.




Wenn du eine Sprache auf Knopfdruck sprechen könntest, welche wäre diese und aus welchem Grund?
Das kann ich nicht sagen, es gibt so viele interessante Sprachen. Und wie bereits gesagt: wer eine Kultur, ein Land oder eine Region verstehen möchte, kann das nur voll und ganz, wenn man auch die jeweilige Sprache spricht glaube ich.

Welche Zukunftswünsche habt ihr für euer Projekt?
Dass wir immer wieder neue und altbekannte Gesichter im Sprachcafé antreffen und ihre Fortschritte (nicht nur sprachlich) mitverfolgen können. Natürlich ist es auch ein Anliegen, weiterhin den Austausch zwischen Kulturen und Menschen zu fördern. Dafür brauchen wir immer wieder motivierte Leute für unser Sprachcafé-Team! Vielleicht gelingt es uns ja sogar, andere Städte in der Schweiz dazu zu inspirieren, ebenfalls Sprachcafés oder ähnliche Projekte zu gründen.


Von welchen Orten in Basel sprechen eure Sprachcafé-Teilnehmenden besonders gerne?
Zurzeit sprechen wir viel über den Rhein. Da im Moment das Sommer-Sprachcafé in Zusammenarbeit mit der Oetlinger Buvette stattfindet, bietet sich der Rhein als Gesprächsstoff, als Sehnsuchtsort, als Abkühlungsquelle und als Treffpunkt an.

Wenn du diesen Erfahrungswert mit einer Reise umschreiben könntest, wie würde diese Reise ausschauen?
Die Erfahrung im Sprachcafé wäre wohl am ehesten mit einer Rucksackreise rund um die Welt zu vergleichen. Dabei sind wir mal schneller, mal langsamer unterwegs. Wir folgen zwar einem ungefähren Plan, sind aber immer offen für neue Wege, neue Begegnungen und schauen gerne links und rechts. Das Sprachcafé hat kein Ziel, wir wollen nicht irgendwann Strandurlaub im teuren Hotel machen, sondern achtsam und abenteuerlustig auf dem Weg sein. Dabei kommunizieren wir mit Körper, Händen und Füssen, wenn wir die Sprache nicht verstehen, immer im wissen, dass ein Lächeln überall und von allen verstanden wird.


Gibt es ein Musikstück, welches euer Projekt emotional umschreibt?
Wir waren mit dem Sprachcafé im Kino und haben uns gemeinsam den Film «Raving Iran» angeschaut. Ein Musikstück aus dem Film war von Nu «Man-O-To», was auf Farsi «ich und du» bedeutet. Diese Bedeutung umschreibt auch unser Szenario im Sprachcafé.


Wie wär`s mal mit…?
...neuen Begegnungen, Kaffee und plaudern im Sprachcafé?



Vielen herzlichen Dank an Anita, für deine Zeit und das beflügelnde Interview.
Für diese Art von Weltreise braucht man weder Gepäck noch Reiseunterlagen, sondern nur ein bisschen Neugier. Anita und die ganze Truppe vom «Sprachcafé» freuen sich immer über neue Gesichter und Geschichten.
Tschüss, sta bain, au revoir, arrividerci, adios, bye, dogledanje, ma'as-salama, lehitraot, alvida, sayônara, güle güle, do vidjenja, tstesoutyoun, bi xatirê te!


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von Derya Cukadar
am 03.09.2018

Fotos
© Oliver Hochstrasser für Wie wär's mal mit

Wer die Bilder weiterverwenden möchte, muss sich die Rechte bei Oliver Hochstrasser einholen.

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